14.12.2023

Es fällt mir wirklich schwer, manche Personen ernst zu nehmen. Personen, die ein „Positivity Journal“ führen. Personen, die Pferde streicheln und sich dadurch sofort mentale Heilung erhoffen. Personen, die an Achtsamkeitswochen teilnehmen und anschließend meinen, den Sinn des Lebens begriffen zu haben. Personen, die an Engel glauben. Personen, die das „simple Leben“ genießen wollen, dafür aber mindestens 4.000 € pro Monat benötigen. Personen, die mit über 60 noch täglich nach Anerkennung haschen, wo und wann es nur geht. Personen, die den Unterschied zwischen „Brutto“ und „Netto“ nicht verstehen. Und Personen, die eine „Yoga-Ausbildung“ machen und allen zeigen wollen, dass sie die innere Mitte gefunden haben, doch in Wirklichkeit irgendwo ganz weit draußen stehen. Natürlich gibt es da noch mehr Kategorien, aber ich muss irgendwann zum springenden Punkt kommen. Lasst uns also eine der oben genannten Kategorien beleuchten.

Ich bin mir nicht sicher, was in einem Leben falsch gelaufen ist, wenn man im hohen Alter diesen Drang nach täglicher Anerkennung und Aufmerksamkeit verspürt. Dies kann doch nur bedeuten, man hat nicht viel erreicht im Leben. Also nichts, was für irgendjemanden von wirklicher Bedeutung gewesen wäre. Wenn im Alter von über 60 noch kein Funken Demut dem Leben gegenüber in ein Hirn eingedrungen ist, hat man wirklich ein Problem. Wenn sich auch noch der Gemütszustand nach dem Aufmerksamkeitsgrad von völlig Fremden und Ahnungslosen richtet, sollte man sich wirklich etwas überlegen. Aber vermutlich wird eine 25 Jahre jüngere, Pferde-streichelnde-Yoga-Achtsamkeitswoche-Positivity-Journal-Ich-glaube-an-Engel-kann-aber-Brutto-von-Netto-nicht-unterscheiden-Freundin, das Aufmerksamkeitslevel oben halten. Wie auch immer sie das macht?! Vielleicht mit komplizierten Rechenaufgaben über Ein- und Verkaufspreise. Vielleicht mit achtsamen Atemübungen. Vielleicht mit Engelsmeditation. Vielleicht mit einem positiven Eintrag im Tagebuch. Aber am wahrscheinlichsten, weil sie einen reitet wie ein Pferd und anschließend streichelt. Was mit Sicherheit beruhigt, unterm Strich aber keinen Unterschied macht. Denn keine dieser Methoden wird irgendwann dazu führen, dass der Denkapparat anspringt.

Das wäre aber dringend nötig für solche Personen. Vor allem für eine anständige Selbstreflexion.

(Selbstreflexion bezeichnet die Tätigkeit, über sich selbst nachzudenken. Das bedeutet, sein Denken, Fühlen und Handeln zu analysieren und zu hinterfragen mit dem Ziel, mehr über sich selbst herauszufinden. Dabei können wir uns nicht nur selbst als individuelle Person hinterfragen, sondern auch als Teil eines Systems, zum Beispiel als Teil einer Familie oder eines Teams. / Quelle: Wikipedia)

Das wäre ein wichtiger Schritt, um zu erkennen, wo man steht im Leben. Dann könnte man mit ruhigem Gewissen an einer Achtsamkeitswoche teilnehmen, eine Yoga-Ausbildung machen und so weiter. Denn man hätte verstanden, dass so etwas nicht die „ultimative Lösung“ ist, sondern nur ein weiterer Schritt. Man würde sich nicht mehr bemüßigt fühlen, sein Halbwissen als unfehlbare Superkraft zur Aufmerksamkeitsgewinnung einzusetzen. Das hätte man dann nicht mehr nötig. Aber wahrscheinlich ist genau dieses Halbwissen das Problem. Wer nichts kann, der schreit möglichst laut. Das war schon im Kindergarten so.

Und dann gibt es Menschen, die kein großes Ding aus ihren Fähigkeiten machen. Sie machen es einfach gut. Mit Leidenschaft, mit Herz, mit Überzeugung, mit Demut, mit Fachwissen und das über Jahrzehnte. Aber niemals mit Überheblichkeit, von oben herab, oder mit dem Nimbus der Unfehlbarkeit. Warum auch? Denn diese Personen wissen, wie schwer es ist, einen Status zu erreichen, bei dem man als „Fachkraft gilt. Und zwar nicht für irgendwelche dahergelaufenen, sondern für sich selbst. Sie haben „Entbehrung“ empfunden. Sie mussten schmerzlich erfahren, wie es ist zu scheitern. Aber sie haben die richtigen Schlüsse daraus gezogen und sind besser geworden in Ihrem Fachgebiet. Und sie wissen, dass sie niemals ausgelernt haben. Diese Personen kann ich ernst nehmen. Sogar sehr ernst.

Aber nicht diese „Blender“. Diese Personen, die irgendwas nach außen präsentieren, als wäre es deren eigene Idee gewesen. Diese Personen, die irgendwas fabrizieren und dies als großartige Leistung hinstellen wollen, obwohl es unterdurchschnittlich ist. Diese Personen, die einen Wochenendkurs von irgendetwas besuchen, ganz egal ob Spinning, Yoga, Tennis, Kochen, Schauspiel, Tauchen, Kinderbetreuung und sich dann selbst als „Trainer“ oder gar „Experten“ bezeichnen. Diese Personen, die sich mit fremden Federn schmücken und nur nach Aufmerksamkeit lechzen. Diese Personen, die unfähig sind für eine rationale Selbstreflexion. Diese Personen kann ich einfach nicht ernst nehmen. Will ich nicht und muss ich auch nicht. Müssen wir alle nicht. HOOPONOOPONO

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© Paul Brabec