03.12.2020

Ein Ornithologe ist ein Vogelwissenschaftler. Ein Ontologe befasst sich mit der Einteilung des Seienden und den Grundstrukturen der Wirklichkeit. Ein Onkologe ist spezialisiert auf die Diagnostik und Behandlung von Tumorerkrankungen. Ein Otologe ist ein Ohrenarzt. Ein Orologe beschäftigt sich mit Gebirgen. Ein Onomatologe mit der Namensforschung und ein Önologe mit der Lehre vom Weinbau. Dass all diese Berufe mit einem Suffix enden, überrascht einen Linguisten jetzt nicht wirklich. Dass ein Linguist aber kein Zungenarzt, sondern ein Sprachwissenschaftler ist, den ein oder anderen schon. Warum genau es im Lateinischen nur ein Wort für Zunge und Sprache gibt, soll aber ein Dialektologe klären. Würde ich dies versuchen, dann müsste ich mich auf den Apriorismus berufen.

Als Apriorismus werden in der Neuzeit erkenntnistheoretische Positionen bezeichnet, die davon ausgehen, dass bestimmtes Wissen ohne Bezug auf die Erfahrung gerechtfertigt werden kann, oder im engeren Sinn, dass Erkenntnisse gänzlich ohne jede Erfahrung möglich sind.

(Quelle: Wikipedia)

Und das ist doch total angesagt heutzutage. Ich würde es fast schon als „hip“ bezeichnen. Nein, es ist noch viel schlimmer. Es wird sogar vorausgesetzt und erwartet in unserer Gesellschaft. Von jedem Politiker, jeder Führungskraft, jedem Vorarbeiter, jedem Virologen, einfach jedem. Es sollen Entscheidungen gänzlich ohne Erfahrung getroffen werden und wir gehen ganz einfach davon aus, dass diese Entscheidungsträger zumindest über ein bestimmtes Wissen verfügen. Ob wir da nicht zu viel erwarten von unseren schlauen Mitbürgern. Denn viele, die schon einmal ein Tennis Match im Fernseher verfolgt haben, halten sich anschließend für einen Experten. Sind sie aber nicht, sie sind weiterhin stolze Mitbürger aus dem Tal der Ahnungslosen. Bei den TV-Experten, von welchen wir uns tagtäglich berieseln lassen können, ist es ein bisschen anders. Die stammen größtenteils vom Hochplateau der Halbgelehrten. Haben aber zumindest verstanden, dass sie immer brav sagen müssen, was der Sponsor von ihnen hören will, wenn sie weiterhin als Experten gelten wollen. Und unsere Führungskräfte von diesem Hochplateau plappern einfach sinnlos nach, was ihnen von den Soziopathen, die in der Regel eine Gehaltsstufe höher stehen, angeordnet wird. Angelogen, betrogen, von vorgegaukeltem Apriorismus umgeben und völlig realitätsfremd! Das ist die Welt, in der wir uns befinden. Ornithologen erklären uns Steine, weil die ja auch irgendwie Lebewesen sind. Linguisten geben ihre Meinung zu Zungenkrebs ab. Onkologen stopfen Vögel aus und präsentieren dies auf ihrem Youtube-Kanal. Ontologen sitzen bei Markus Lanz und sprechen über die Corona-Impfung. Ein Orologe wird neuer Wirtschaftsminister und prognostiziert den Wirtschaftsaufschwung. Und wir glauben diese Scheiße auch noch. HOOPONOOPONO

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© Paul Brabec